Mit dem Motu Proprio Traditionis custodes stellen sich dem Klerus viele
konkrete Fragen. Nicht alle dieser Fragen können hier beantwortet werden. Es
soll indes ein Versuch gemacht werden, manches im Sinne einer Klärung von
Prinzipien zu verdeutlichen, die
für das praktische Handeln eine Hilfe sein können.
Kirchenrechtliche Analyse von Traditionis custodes Übersetzungen/ Kommentar: Paolo D'Angona, Priester der Diözese
Roermond
Dieses Motu Proprio ist nach Maßgabe des Can. 18 CIC zu interpretieren:
"Gesetze, die eine Strafe festsetzen oder die freie Ausübung von
Rechten einschränken oder eine Ausnahme vom Gesetz enthalten, unterliegen
enger Auslegung." D.h.: Nur dasjenige, was sich aus dem Wortlaut
zwingend ergibt, hat Gesetzeskraft. So legt es der CIC fest.
Der Blog
"Rorate caeli" veröffentlichte einen kurzen kanonistischen Kommentar zu
Traditionis custodes (→
Originalartikel) von einem Priester, der Kanonist ist). Diesen
Kommentar legen wir hiermit (auszugsweise) in deutscher Übersetzung vor:
Prinzipien
Das Motu Proprio Traditionis Custodes
wurde samt einem Begleitschreiben von Papst Franziskus am 16. Juli 2021
veröffentlicht.
Als restriktives Dekret ist dieses Motu Proprio von Papst Franziskus im Sinne
der Rechtsmaxime Regula Juris 15 (odiosa restringenda, favorabilia
amplificanda) strikt auszulegen. Interessanterweise enthält das Dokument
keine vacatio legis.
Papst Franziskus weist im ersten Absatz darauf hin, daß die Bischöfe das
Einheitsprinzip der Teilkirchen sind und diese durch die Verkündigung des
Evangeliums leiten. Da der eigentliche Zweck des Dokuments die "ständige
Suche nach kirchlicher Gemeinschaft" ist, ist es naheliegend, daß
dieses Dokument so interpretiert werden sollte, daß die kirchliche
Gemeinschaft unter den Gläubigen, Priestern und Bischöfen wirklich gefördert
wird, und nicht etwa eine negative Stimmung und Mißgunst gegenüber den
Gläubigen hervorgerufen wird, die den traditionellen liturgischen Formen
verbunden sind.
Brevier, Rituale, Pontifikale
Es ist von Nutzen, darauf hinzuweisen, was durch dieses Motu Proprio nicht
eingeschränkt wird. Das vorkonziliare Breviarium Romanum, Pontificale
Romanum und Rituale Romanum werden nicht erwähnt.
Es wird keine ausdrückliche Aufhebung eines relevanten Dokumentes
vorgenommen, welches sich auf das traditionelle Missale Romanum bezieht, und
eine solche Aufhebung sollte daher nicht unterstellt werden.
Missale Romanum abgeschafft?
Das traditionelle Missale verbleibt in dem Status, den es stets hatte, d.h.
es ist nicht abrogiert. Die Rechte, festgeschrieben in Quo Primum, der
theologischen und liturgischen Tradition der abendländischen Riten und
unvordenklicher Gewohnheit, bleiben (somit) erhalten.
Die traditionellen Riten der verschiedenen Ordensgemeinschaften
(Dominikaner, Karmeliten, Prämonstratenser usw.) und alter Diözesen
(Ambrosianischer Ritus, Lyoner Ritus usw.) werden nicht erwähnt. Es gibt
keine Anhaltspunkte dafür, daß das Recht eines Priesters, privat nach dem
Missale von 1962 zu zelebrieren, in irgendeiner Weise angetastet wird.
Summorum-Pontificum aufgehoben?
Im Hinblick auf die umfangreiche Einräumung von Rechten, die durch Summorum
Pontificum verliehen und durch Universae Ecclesiae erläutert und erweitert
wurden, ist, wenn kein ausdrücklicher Widerruf dieser von Papst Benedikt
XVI. gewährten Rechte geschieht, kanonistisch auf das Weiterbestehen (dieser
Rechte) zu schließen.
Kirchenrechtliche Analyse (Quelle:
Blog Rorate Caeli, Autor: kath. Kanonist,
Übersetzung / Kommentar wie oben)
Das Dokument ist durch einen ernsthaften Mangel an Klarheit
gekennzeichnet, den diese kurze Analyse zu beheben versucht, und es ist
naheliegend, daß die Unklarheiten des Dokuments bedauerlicherweise von
denjenigen ausgenutzt werden werden, die kaum von echter Liebe zur Kirche,
ihren treuen Gläubigen und ihrem Erbe beseelt sind.
Analyse des Dokuments
(...)
Der Ortsbischof
Artikel 2 erkennt den Diözesanbischof als "Moderator, Förderer und Hüter des
gesamten liturgischen Lebens der Teilkirche" an. Dies trifft zu und war
schon immer der Fall. Der Artikel trägt lediglich der Tatsache Rechnung, daß
der Bischof das allgemeine liturgische Leben seiner Diözese regelt, was auch
die Verwendung des vorkonziliaren Missale Romanum und die Genehmigung seiner
Verwendung einschließt, so wie ein Bischof üblicherweise einem Priester das
Recht erteilt, die Liturgie zu feiern.
Missale von 1965?
Im Hinblick auf Artikel 3 ist darauf hinzuweisen, daß sich dessen
Bestimmungen auf das "Missale vor der Reform von 1970" beziehen. Präzise
betrachtet ist das Missale, das der Reform von 1970 vorabgeht, dasjenige der
Editio typica des Jahres 1965 - mit den in Tres abhinc annos vom 4. Mai 1967
vorgesehenen Änderungen. Dies ist aber nicht das Missale von 1962. Das
Missale von 1965 wird aber kaum verwendet - wenn überhaupt.
Gruppen von Gläubigen
Artikel 3, Nummer 1 besagt, daß "diese Gruppen die Gültigkeit und
Legitimität der vom Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Päpstlichen Lehramt
angeordnete Liturgiereform nicht leugnen". Dies dürfte kein Problem
darstellen, da das Prinzip der Liturgiereform, das allen Änderungen
zugrundeliegt - wie in Sacrosanctum Concilium 4 dargelegt - nach wie vor
lautet, daß "das Heilige Konzil in treuem Gehorsam gegenüber der Tradition
erklärt, daß die heilige Mutter Kirche alle rechtmäßig anerkannten Riten als
gleichen Rechtes und gleicher Würde anerkennt; daß diese (Riten) auch in
Zukunft erhalten werden und in jeder Hinsicht gefördert werden sollen".
Verbot von Pfarrkirchen
Artikel 3, Nummer 2 merkt an, daß der Diözesanbischof einen oder mehrere
Orte benennen soll, an denen sich die Gläubigen dieser Gruppen (die dem
Missale in seiner Fassung vor der Reform von 1970 verbunden sind) zur
Meßfeier einfinden können, und zwar nicht in Pfarrkirchen und unter
Ausschluß der Errichtung neuer Personalpfarreien. Dies bleibt rechtlich
unklar, da es lediglich als eine Einschränkung der (Verwendung der) Editio
typica von 1965 aufgefaßt werden könnte. Wenngleich der Text darauf
hinweist, daß sich diese Gruppen "nicht in Pfarrkirchen und (nur) unter
Ausschluß der Errichtung neuer Personalpfarreien" versammeln können, so gibt
es noch zahlreiche andere Orte, an denen solche Feiern stattfinden können.
Artikel 3, Nummer 3 besagt, daß der Bischof die Tage festlegen kann, an
denen die Meßfeier gemäß dem Missale von 1962 gestattet sind. Es liegen
keine Anhaltspunkte dafür vor, daß das Recht eines Priesters, eine solche
Festlegung vorzunehmen, angetastet wird. Auch der Bischof kann eine solche
Benennung vornehmen.
Deutsche Lesungen?
Wie in praktisch allen Gemeinden, in denen die Außerordentliche Form
gefeiert wird, werden die Lesungen gewöhnlich in der Landessprache
vorgetragen, gemäß den Bestimmungen von Universae Ecclesiae 26: "Wie in
Artikel 6 des Motu Proprio Summorum Pontificum vorgesehen, erfolgen die
Schriftlesungen der hl. Messe des Missale von 1962 entweder nur in
lateinischer Sprache oder in lateinischer Sprache, an die sich die Verlesung
in der Landessprache anschließt, oder in gelesenen Messen ausschließlich in
der Landessprache." Nummer 4 weist darauf hin, daß ein Priester ernannt
werden sollte, der "für diese Verantwortlichkeit geeignet ist" und gibt
Beispiele für die positiven Eigenschaften, die einem solchen Priester eigen
sein sollten.
Neue Gruppen
Artikel 3, Nummern 5 und 6 umschreiben, wie der Bischof das Wachstum solcher
Gemeinschaften und Pfarreien in positiver Weise leiten soll, nämlich unter
Sicherstellung, daß sie "ihrem geistlichen Wachstum förderlich sind"; er
soll "entscheiden, ob sie beibehalten werden oder nicht". Der Akzent liegt
hier natürlich auf dem Positiven: Bischöfe sollten die Wirksamkeit des
Wachstums solcher Gemeinschaften und Pfarreien fördern. Im folgenden
Unterabschnitt wird den Bischöfen auch kein striktes Verbot gegeben, die
Gründung neuer Gruppen zu genehmigen, sondern es wird lediglich angemerkt,
sie sollten "darauf acht zu haben'", deren Gründung nicht zu autorisieren.
Zelebrationsantrag durch Neupriester
Artikel 4 unterscheidet zwischen denen, die nach dem 16. Juli 2021 geweiht
wurden, die einen Antrag an den Diözesanbischof stellen "sollen", der in der
Folge den Apostolischen Stuhl konsultieren wird, und den zuvor geweihten
Priestern. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß diese neu geweihten Priester
dies tun müssen, und es gibt keinen Hinweis auf Strafen, denen sie
anheimfallen würden, wenn sie dies nicht täten. Dies ist (folglich) eine
Aussage im Sinne einer Mahnung, aber keine Verpflichtung.
Zelebrationsantrag durch Bestandspriester
Ebenso werden diejenigen, die vor dem 16. Juli 2021 geweiht wurden, in
Artikel 5 ermahnt, beim Diözesanbischof die Fakultät anzusuchen, weiterhin
gemäß dem traditionellen Misslae zu zelebrieren. Auch diese beiden Artikel
sollten so gelesen werden, daß sie - in Übereinstimmung mit den
ausdrücklichen Zielsetzungen des vorliegenden Motu Proprio - das positive
Wachstum und das Einvernehmen in der Gemeinschaft zwischen Priestern und
ihren Bischöfen zu fördern geeignet sind. (Anm. d. Übers.: Die offzielle
englische Version spricht sowohl im Hinblick auf neugeweihte als auch andere
Priester davon, daß sie um Erlaubnis bitten "sollen" - "should"; die
italienische und deutsche Version unterscheiden: Neugeweihte "müssen" -
"devono" - um Erlaubnis bitten, früher geweihte Priester "sollen" dies tun -
"richiederanno al Vescovo". - das unter den Überschriften "Kann der Papst
die überlieferte Liturgie 'abschaffen' oder 'verbieten'" und "Praktische
Schlußfolgerungen" Angeführte.)
Ecclesia Dei Gemeinschaften
Artikel 6 stellt fest, daß die Institute des geweihten Lebens und die
Gesellschaften des Apostolischen Lebens, die zuvor der Päpstlichen
Kommission Ecclesia Dei unterstanden, jetzt der Zuständigkeit der
Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und Gesellschaften des
Apostolischen Lebens unterstehen; Artikel 6 bestätigt weiterhin die
Zuständigkeit der Kongregation für den Gottesdienst und die
Sakramentenordnung sowie die oben genannte Kongregation für die Einhaltung
dieser Bestimmungen.
Der letzte Artikel dieses Motu Proprio mag in
seiner Aufhebung von 'früheren Normen, Anweisungen, Genehmigungen und
Gebräuchen, die nicht den Bestimmungen des vorliegenden Motu Proprio'
enstprechen, als umfassend erscheinen, indes muß wiederholt werden, daß
seine Beschränkungen strikter Auslegung unterliegen."
Kann der Papst die überlieferte Liturgie "abschaffen" oder "verbieten"?
Das Erste Vatikanische Konzil lehrt in der Dogmatischen Konstitution
Pastor aeternus:
"Wir lehren demnach und erklären, daß die
Römische Kirche auf Anordnung des Herrn den Vorrang der ordentlichen
Vollmacht über alle anderen innehat, und daß diese Jurisdiktionsvollmacht
des Römischen Bischofs, die wahrhaft bischöflich ist, unmittelbar ist: ihr
gegenüber sind die Hirten und Gläubigen jeglichen Ritus und Ranges - sowohl
einzeln für sich als auch alle zugleich - zu hierarchischer Unterordnung und
wahrem Gehorsam verpflichtet, nicht nur in Angelegenheiten, die den Glauben
und die Sitten, sondern auch in solchen, die die Disziplin und Leitung der
auf dem ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche betreffen, so daß durch Wahrung
der Einheit sowohl der Gemeinschaft als auch desselben Glaubensbekenntnisses
mit dem Römischen Bischof die Kirche Christi eine Herde unter einem Hirten
sei (vgl. Joh 10, 16). Dies ist die Lehre der katholischen Wahrheit, von der
niemand ohne Schaden für Glauben und Heil abweichen kann." (DH 3060).
Es sei hier unmißverständlich festgehalten: Diese (dogmatische) Lehre
des Vaticanum I zu leugnen oder zu bezweifeln wäre Häresie; sich "nur"
praktisch über sie hinwegzusetzen Schisma. Weder Häresie noch Schisma sind
gangbare Wege, beide schließen vom Heil aus.
Bedeutet nun diese Lehre
des Ersten Vatikanums, daß der Papst kraft seiner Primatialgewalt die
überlieferte Liturgie "abschaffen" oder "verbieten" kann? Eine Frage, die
nicht nur in sich von größter Wichtigkeit ist, sondern auch in Zukunft noch
drängender werden könnte.
Zur Beantwortung der Frage mögen folgende
Texte eine Hilfe sein, die allesamt von Personen verfaßt sind, deren Treue
zur Lehre des Ersten Vatikanums und deren gediegene theologische und
kanonistische Kenntnisse über jeden Zweifel erhaben sind.
Missale 1962 - nie rechtlich abrogiert - immer zugelassen - kein
Bruch - auch uns heilig, - kann nicht verboten sein
Papst Benedikt XVI.
"Was nun die Verwendung des
Meßbuchs von 1962 als Forma extraordinaria der Meßliturgie angeht, so möchte
ich darauf aufmerksam machen, daß dieses Missale nie rechtlich abrogiert
wurde und insofern im Prinzip immer zugelassen blieb. (...) In der
Liturgiegeschichte gibt es Wachstum und Fortschritt, aber keinen Bruch. Was
früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann
nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein." (Con grande
fiducia, Begleitschreiben Papst Benedikts XVI. zum Motu Proprio Summorum
Pontificum an den Weltepiskopat)
Kanonisten einstimmig der Meinung, daß die Päpste alles
verändern können, mit Ausnahme - von dem, was die Hl.
Schrift vorschreibt - oder bereits ergangene
höchste Lehrentschei- dungen und den Status
Ecclesiae betrifft.
Alfons Maria Kardinal Stickler:
"Ich möchte, um
alle Mißverständnisse bei dieser Darstellung der Reform, die im Wesentlichen
das Verhältnis von Übereinstimmung oder Diskrepanz zwischen
Konzilskonstitution und dem Novus Ordo Missae zum Gegenstand hat, zu
vermeiden, ausdrücklich feststellen, daß ich nie die Gültigkeit des
letzteren - dogmatisch und juridisch - in Zweifel gezogen habe, obwohl mir
bei der juridischen Frage auch ernste Zweifel gekommen sind in Anbetracht
meiner intensiven Beschäftigung mit den mittelalterlichen Kanonisten, die
einstimmig der Meinung sind, daß die Päpste alles verändern können, mit
Ausnahme von dem, was die Hl. Schrift vorschreibt oder bereits ergangene
höchste Lehrentscheidungen und den Status Ecclesiae betrifft.
Bei der Bestimmung dieses Begriffes ergibt sich keine eindeutige
Sicherheit. Die Traditionsgebundenheit bei wesentlichen Dingen, die die
Kirche im Laufe der Zeit endgültig geprägt haben, gehört sicher zu diesem
fixen, unveränderlichen Status, über den auch der Papst keine
Verfügungsgewalt hat.
Die Bedeutung der Liturgie für den ganzen
Kirchenbegriff und dessen Entwicklung, die auch vom Vat. II. besonders
betont wurde als dem Wesen nach unveränderlich, legt den Gedanken nahe, daß
sie tatsächlich, was ihr immer überliefertes Wesen betrifft, zum Status
Ecclesiae gehöre."
(Aus dem Vortrag Alfons Maria Kardinal Sticklers:
"Erinnerungen und Erfahrungen eines Konzilsperitus der Liturgiekommission";
abgedruckt in: Franz Breid (Hrsg.): Die heilige Liturgie - Referate der
'Internationalen Theologischen Sommerakademie 1997' des Linzer
Priesterkreises in Aigen/M., Steyr 1997, S. 186)
Noch vor (!) Erscheinen des Motu Propio Summorum Pontificum, am 27. November
2004, schrieb Kardinal Stickler in einem Vorwort zu einer französischen
Publikation (unsere Übersetzung):
"Glücklicherweise wurde die
römische, lateinische Messe, benannt nach dem hl. Pius V., niemals
verboten."
(Vorwort Kardinal Sticklers zu: Bref examen critique du Nouvel Ordo Missae,
Editions Renaissance Catholique, o.O. 2005, S. 8)
Die Macht des Papstes ist - die, die notwendig ist um
Lehre u. Disziplin zu verteidigen - nicht
'absolute Macht', die Lehre zu ändern oder
eine liturgische Disziplin auszurotten, die
seit Papst Gregors des Großen und noch
früher lebendig ist.
Raymond Leo Kardinal Burke:
"Aber kann der Papst
den Usus Antiquior rechtlich außer Kraft setzen?
Die Fülle der Macht
(plenitudo potestatis) des Papstes ist die Macht, die notwendig ist, um die
Lehre und Disziplin der Kirche zu verteidigen und zu fördern. Es ist nicht
die 'absolute Macht', die die Macht einschließen würde, die Lehre zu ändern
oder eine liturgische Disziplin auszurotten, die in der Kirche seit der Zeit
Papst Gregors des Großen und sogar noch früher lebendig ist.
Die
richtige Interpretation von Artikel 1 kann nicht die Leugnung sein, daß der
Usus Antiquior ein immer lebendiger Ausdruck der lex orandi des Römischen
Ritus ist. Unser Herr, der das wunderbare Geschenk des Usus Antiquior
gemacht hat, wird nicht zulassen, daß es aus dem Leben der Kirche getilgt
wird. (...) Es muß daran erinnert werden, daß aus theologischer Sicht jede
gültige Feier eines Sakramentes, gerade weil es ein Sakrament ist, jenseits
jeder kirchlichen Gesetzgebung auch eine gottesdienstliche Handlung und
damit auch ein Glaubensbekenntnis ist.
In diesem Sinne ist es nicht
möglich, das Römische Messbuch nach dem Usus Antiquior als gültigen Ausdruck
der lex orandi und damit der lex credendi der Kirche auszuschließen. Es
handelt sich um eine objektive Realität der göttlichen Gnade, die nicht
durch einen bloßen Willensakt auch der höchsten kirchlichen Autorität
geändert werden kann."
(Stellungnahme Kardinal Burkes zu Traditionis Custodes vom 22. Juli 2021;
Quelle: Stellungnahme zum Motu Proprio Traditionis Custodes. Von Raymond
Leo Kardinal Burke – gloria.tv )
Es ist nicht Aufgabe des Apostolischen
Stuhles, Neuerungen in die Kirche einzuführen.
Msgr. Dr. Dr. Klaus Gamber
Das Recht des Papstes (...), einen neuen Ritus einzuführen, könnte
man, so scheint es, ableiten von seiner "vollen und höchsten Gewalt" (plena
et suprema potestas) in der Kirche, von der das Vaticanum I spricht, und
zwar über Dinge, "quae ad disciplinam et regimen ecclesiae per totum orbem
diffusae pertinent" (Denzinger 1831).
Unter "disciplina" ist keinesfalls der Meßritus gemeint, zumal mehrere
Päpste immer wieder betont haben, er gehe auf apostolische Tradition zurück.
Schon aus diesem Grunde kann er nicht unter die "Disziplin und Leitung der
Kirche" fallen. Dazu kommt noch, daß in keinem einzigen Dokument, auch nicht
im Codex Iuris Canonici, ausdrücklich davon gesprochen wird, daß der Papst
als oberster Hirte der Kirche das Recht auf Abschaffung des traditionellen
Ritus hat.
(...) Es ist sicherlich nicht die Aufgabe des Apostolischen
Stuhles, Neuerungen in die Kirche einzuführen. Die primäre Pflicht der
Päpste ist es, als oberste Bischöfe ("episcopi" = Aufseher) über die
Tradition der Kirche zu wachen, und zwar sowohl auf dogmatischen, als auch
moralischem und liturgischem Gebiet.
(Klaus Gamber, "Die Reform der Römischen Liturgie", Regensburg 1981, S. 24,
26)
Praktische Schlußfolgerungen
Kanonistische Analysen des Textes von Traditionis Custodes (vgl. Nr. 1, →
hier eine weitere) zeigen, daß ein Priester, dessen kanonischer
Status einwandfrei ist, das überlieferte Missale Romanum (bzw. das
überlieferte Breviarum Romanum und Rituale Romanum) auch nach Traditionis
Custodes weiterverwenden kann. Insofern besteht - an sich - keine strikte
(moralische oder kanonische) Verpflichtung, um eine "Erlaubnis" einzukommen.
Das unter der Überschrift "Kann der Papst die überlieferte Liturgie
'abschaffen' oder 'verbieten'" Angeführte läßt darüberhinaus - was insbesondere für
Neugeweihte von Wichtigkeit ist - mit hinreichender Deutlichkeit erkennen,
daß im Sinne einer prinzipiellen Feststellung gilt: Die Primatialgewalt des
Papstes, zu der wir uns als Katholiken ohne jede Einschränkung bekennen,
beinhaltet nicht die Möglichkeit, die überlieferte (Meß-) Liturgie - de iure
oder de facto - auszulöschen.
Antrag an den Ortsbischof?
Insoweit es aus Gründen irgendwelcher Art (z.B. zur Sicherstellung
der von Papst Franziskus angemahnten kirchlichen Einheit, aus Gründen der
Klugheit usw.) notwendig oder angebracht erscheint, wird sicherlich jeder
gewissenhafte Priester beim zuständigen kirchlichen Oberen um Zustimmung zur
(Weiter-) Verwendung des überlierferten Missale ansuchen - immer unbeschadet
des unter Punkt 2 Angeführten.
Prälat Georg May
Die in weiten Teilen der Kirche
seit Jahrzehnten fortdauernden Verstöße gegen die liturgische Ordnung (die
auch Papst Franziskus in seinem Begleitschreiben zu Traditionis Custodes
erwähnt), die zudem in nicht wenigen Fällen sakrilegischen Charkater haben,
sowie die mit den erwähnten Verstößen einhergehenden Verfälschungen der
Glaubenslehre ("lex orandi, lex credendi"), erweisen - ohne Infragestellung
der Rechtmäßigkeit der neueren vom Hl. Stuhl promulgierten liturgischen
Bücher (Editiones typicae) - die Feststellung von Prälat Georg May als
zutreffend:
"Die
Weiterbenutzung der sogenannten tridentinischen Messe ist (...) für die
Erhaltung des Glaubens und die Abwehr protestantisierender Tendenzen sowie
für die geistliche Betreuung der Gläubigen unerläßlich."
(Georg May, "Die alte und die neue Messe", Düsseldorf 1975, S. 105)
Die Verbundenheit so vieler Priester und Gläubigen mit der überlieferten
römischen Liturgie ist Ausdruck ihrer Liebe zur Kirche, namentlich ihrer
Annahme der unfehlbaren und authentischen Aussagen des kirchlichen Lehramts.
Ihre Haltung wird kurz und bündig in der amtlichen Professio fidei zum
Ausdruck gebracht, der sich auch der Verf. dieser Zeilen verpflichtet weiß →
(vgl. lehramtl.Stellungnahmen zur "Professio fidei" vatican.va)
Diese für jeden kirchentreuen Katholiken selbstverständliche Haltung
schließt notwendigerweise die Ablehnung alles dessen ein, was der
Lehre der Kirche widerspricht, z.B. des Modernismus, der von Papst Pius X.
in seiner Enzyklika →Pascendi
Dominici gregis als "Sammelbecken aller Häresien"
gebrandmarkt wurde. Pascendi Dominici gregis muß geradezu als
"Schlüsselenzyklika" zum Verständnis der gegenwärtigen kirchlichen Lage
bezeichnet werden.
(Möglicher) Ausblick
Traditionis custodes bei Licht betrachtet - von Kardinal Brandmüller
(Auszug)
Mit seinem Motu Proprio Traditionis custodes hat Papst Franziskus geradezu
einen Hurrikan entfesselt, der jene Katholiken in Aufruhr versetzt hat, die
sich dem durch Benedikts XVI. Summorum Pontificum wiederbelebten
"tridentinischen" Meßritus verbunden fühlen. (...)
Ein Blick in die
Bloggerszene und andere Medien läßt erkennen, wie weltweit der Protest gegen
das nach Form und Inhalt ungewöhnliche Dokument ausgebrochen ist.
Im
Unterschied zu jenen den Inhalt von Traditionis custodes betreffenden
Protesten sollen hier nun einige Überlegungen angestellt werden, die sich
auf grundsätzliche Momente der kirchlichen Gesetzgebung – im Hinblick auf
Traditionis custodes – beziehen.
Ging und geht es bisher in der
Auseinandersetzung um Traditionis custodes um den legislativen Inhalt des
Motu Proprio, so soll dieses hier in formaler Hinsicht als Gesetzestext
betrachtet werden.
Dabei ist zunächst festzustellen, daß ein Gesetz,
um bindende Kraft zu erlangen, keiner besonderen Annahme durch die
Betroffenen bedarf.
Wohl aber bedarf es der Rezeption durch
dieselben. Mit Rezeption ist die bejahende Aufnahme des Gesetzes im Sinne
von „sich zu eigen machen“ gemeint. Eben – und erst damit – erlangt das
Gesetz Bestätigung und Dauerhaftigkeit, wie schon der „Vater“ des
Kirchenrechts, Gratian († 1140) in seinem berühmten Decretum gelehrt hat.
Hier der originale Text:
"Leges instituuntur cum promulgantur.
Firmantur cum moribus utentium approbantur. Sicut enim moribus utentium in
contrariem nonnullae leges hodie abrogatae sunt, ita moribus utentium leges
confirmantur." (c. 3 D. 4).
Das aber heißt, daß es zur Geltung
und bindenden Kraft eines Gesetzes der billigenden Befolgung seitens der
Adressaten bedarf. So sind andererseits manche Gesetze heute durch
Nichtbeachtung abgeschafft, wie im Gegenteil Gesetze dadurch bestätigt
werden, daß die Betroffenen sie beachten. (...)
Nicht zu vergessen
sei auch, daß im Zweifel, ob ein Gesetz verbindlich sei, dieses nicht
verpflichtet. Solche Zweifel könnten etwa durch mangelhafte Formulierungen
des Gesetzestextes begründet sein.
Hier wird klar, daß Gesetze und
die Gemeinschaft, für die sie erlassen werden, in einer quasi-organischen
Weise aufeinander bezogen sind, insofern das bonum commune der Gemeinschaft
ihr Ziel ist.
Das aber heißt im Klartext, daß die Geltung eines
Gesetzes letztlich von der Zustimmung der davon Betroffenen abhängt. Das
Gesetz hat dem Wohl der Gemeinschaft zu dienen – und nicht umgekehrt die
Gemeinschaft dem Gesetz.
Beide sind nicht einander gegenüberstehende,
sondern aufeinander bezogene Größen, von denen keine ohne oder gegen die
andere bestehen kann.
Wird also ein Gesetz von Anfang an oder im Lauf
der Zeit nicht bzw. nicht mehr beachtet, verliert es seine verpflichtende
Kraft, wird obsolet.
Dies – und das ist mit Nachdruck zu betonen –
gilt natürlich nur von rein kirchlichen Gesetzen, keinesfalls jedoch von
solchen, die auf göttlichem oder natürlichem Recht beruhen.
Zur Vertiefung des von Kardinal Brandmüller über
die receptio legis Ausgeführten kann ein längerer Beitrag des Kanonisten Hw.
James A. Corridan dienen ("→
Doctrine of Reception (arcc-catholic-rights.net)").