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Alte Liturgie und neue Konzilsverächter

(Dieser Text ist eine Sicherung des hervorragenden Originals auf katholisches.info)


     
 

Verteidigung des II. Vaticanums

In einem geharnischten Artikel griff Felix Neumann, Redakteur einer radikal-modernistischen Website, am 29. Juni 2022 diejenigen an, die der überlieferten Römischen Liturgie die Treue halten. Unter Berufung auf einen Text des Heiligen Vaters, der laut dem Präfekten des Dikasteriums für die Liturgie, Erzbischof Arthur Roche, keineswegs rechtlicher Natur ist und lediglich den Anspruch einer „Meditation“ erhebt, meint Neumann, es sei nun endlich an der Zeit, das letzte Konzil „gegen seine Verächter zu verteidigen“ – und das sind aus seiner Sicht offenbar vor allem jene, die der alten Liturgie verbunden sind.

Es mag in diesem Zusammenhang von Interesse sein, einige Zeitzeugen zu Worte kommen zu lassen, denen Art und Umfang der vom Vaticanum II intendierten Liturgiereform bestens bekannt waren. Besteht nämlich eine Diskrepanz zwischen den Intentionen dieses Konzils und der Liturgiereform (von deren Umsetzung bzw. Verfremdung ganz zu schweigen), erweist sich der Vorwurf, diejenigen, die der mindestens 1500jährigen liturgischen Tradition der Kirche folgen, seien „Konzilsverächter“, als gegenstandslos.

     
     

 

Als Kardinal Frings fassungslos war


Von Josef Kardinal Frings berichtet seine Nichte Sigrid Sels:

Als die zweite Liturgiereform erfolgte, war er fassungslos und sagte uns: ‚Das haben wir Konzilsväter nicht beschlossen, das ist gegen die Beschlüsse des Konzils. Ich kann nicht begreifen, wie der Hl. Vater zu so etwas seine Zustimmung geben konnte.‘ Ich war perplex und fragte unseren Onkel: ‚Wie konnte dann so etwas geschehen?‘ Darauf seine traurige Antwort: ‚Die Konzilsväter haben vieles nicht gewollt, aber dann kamen die Periti, und das waren meist sehr fortschrittliche Herren, und die haben alles in eine andere Richtung gedrängt.‘ 1

Mit kaum überbietbarer Deutlichkeit, ja Schroffheit äußerte sich schon im Jahre 1969 Bischof Domenico Celada, der als Konzilsvater für eine Reform der Liturgie gestimmt hatte:

„Die allmähliche Zerstörung der Liturgie ist eine traurige, allgemein bekannte Tatsache. In weniger als fünf Jahren wurde die tausendjährige Struktur des göttlichen Kultes demontiert (…). Statt seiner wurde eine infantile, laute, derbe und höchst ermüdende Form des Ritus eingeführt. Und das Befremden und der Widerwille der Gläubigen wurden in heuchlerischer Weise ignoriert.“ 2

„Ich bedauere es, für die Konzilskonstitution gestimmt zu haben, in deren Namen – aber auf was für eine Weise – diese Pseudo-Reform durchgeführt wurde. Wenn es möglich wäre, würde ich die von mir abgegebene Stimme zurücknehmen.“ 3

   


     
 

Alfons Maria Kardinal Stickler


Alfons Maria Kardinal Stickler, der als Peritus des Konzils mit der Entstehungsgeschichte der Konstitution Sacrosanctum Concilium präzise vertraut war, merkte in einem langen Referat zur Reform der Liturgie an:

„Sie können meine Verwunderung verstehen, als ich bei der Kenntnisnahme der endgültigen Ausgabe des neuen Missale Romanum feststellen mußte, daß dessen Inhalt in vielem nicht den mir wohlbekannten Konzilstexten entsprach, vieles verändert, erweitert, ja direkt gegen die Konzilsverfügungen war.“ 4 „Nie hat es deswegen, in keinem Bereich der christlich-katholischen Riten, einen Bruch, eine radikale Neuschöpfung gegeben, auch nicht im römisch-lateinischen, bis auf die gegenwärtige nachkonziliare Liturgie der Reform, trotzdem das Konzil (…) die absolute Wahrung der Tradition für die Reform immer wieder verlangt hat. (…) Es ist deswegen typisch, daß alle häretischen Abspaltungen von der katholischen Kirche immer auch eine liturgische Revolution zur Folge hatten, wie das besonders klar zu erkennen ist bei den Protestanten und Anglikanern, während die vom Konzil von Trient angeregten und von Papst Pius V. durchgeführten Reformen bis herauf zu denen von Pius X., Pius XII. und Johannes XXIII. keine Revolution waren, sondern nur unwesentliche Angleichungen und Bereicherungen. Nichts Neues dürfe eingeführt werden, sagt ausdrücklich das Konzil zur von den Vätern gewünschten Reform, was nicht ein wirklicher und als solcher erwiesener Nutzen der Kirche verlangt.“ 5

Kardinal Stickler führt für seine Feststellung, daß die Liturgiereform über das von Konzilsvätern Gewollte hinausging, zahlreiche Beispiele an, u. a.:

„Hier muß ein weiterer wichtiger Punkt nicht nur mißverstandener, sondern völlig verleugneter Verfügungen des Konzils zur Sprache kommen: Die Kultsprache. (…) Als das Thema der Kultsprache in der Konzilsaula diskutiert wurde und zwar durch einige Tage, verfolgte ich den ganzen Vorgang mit großer Aufmerksamkeit, wie nachher auch die verschiedenen Formulierungen in der Liturgiekonstitution bis zur endgültigen Abstimmung. Erinnere mich noch sehr gut, wie nach einigen radikalen Vorschlägen sich ein sizilianischer Bischof erhob und die Väter beschwor, in diesem Punkt Vorsicht und Einsicht walten zu lassen, da sonst die Gefahr bestehe, daß die ganze Messe in der Volkssprache gehalten werde, worauf die ganze Konzilsaula in schallendes Gelächter ausbrach.6

Zwei weitere, international bekannte Konzilsperiti bestätigen auf ihre Weise die Beobachtungen Kardinal Sticklers. Zum Beispiel für den Ordo Missae hatte die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium zwar eine „Vereinfachung“ gefordert, jedoch unter „treulicher Wahrung der Substanz“ („probe servata substantia“) der Riten. Jedoch zeitigte die Liturgiereform nach P. Joseph Gelineau ein etwas anderes Ergebnis:

Es muß unzweideutig festgestellt werden: Der Römische Ritus, so wie wir ihn kannten, existiert nicht mehr. Er ist zerstört.7

P. Henri Denis ließ sich wie folgt über die liturgische Reform aus: „In manchen Diskussionen mit Traditionalisten ist es allgemein üblich geworden, zu sagen, daß sich nichts verändert habe. Es wäre weit besser, den Mut zu haben, zuzugeben, daß die Kirche aus gutem Grunde bedeutende Modifizierungen vorgenommen hat. Warum nicht zugeben, daß sich die Religion geändert hat?“ 8

So also bewertete ein Peritus – wenn auch in offensichtlicher Übertreibung – das Ergebnis der Liturgiereform: „Änderung der Religion“. Was wohl die Konzilsväter dazu gesagt hätten, denen, wie Kardinal Stickler berichtete, schon eine „Abschaffung“ der lateinischen Kultsprache als so absurd erschienen war, daß sie bei der bloßen Erwähnung dieser Möglichkeit „in schallendes Gelächter“ ausbrachen?

Letztere Tatsache wird übrigens ebenfalls erwähnt durch einen weiteren Konzilsvater, Erzbischof Robert J. Dwyer:

Wer hätte es sich an dem Tage, an dem Sacrosanctum Concilium promulgiert wurde, träumen lassen, daß in einigen Jahren, in weniger als einem Jahrzehnt, die lateinische Tradition der Kirche so gut wie ausgelöscht sein und zu einer langsam verblassenden Erinnerung werden würde? Der Gedanke daran hätte uns entsetzt, aber das erschien uns als so unvorstellbar, daß wir es als lächerlich betrachteten. Und so lachten wir darüber.“ 9

 

     

  Papst Benedikt XVI.

Ferner kann Prof. Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., zumindest als Zeitzeuge auch von jenen nicht ignoriert werden, die jetzt dessen damnatio memoriae betreiben. Joseph Ratzinger schrieb am 16. Dezember 1976 in einem Brief an Prof. Wolfgang Waldstein:

Das Problem des neuen Missale liegt demgegenüber darin, daß es aus dieser kontinuierlichen, vor und nach Pius V. immer weitergegangenen Geschichte ausbricht und ein durchaus neues Buch (wenn auch aus altem Material) schafft, dessen Auftreten mit einem der kirchlichen Rechts- und Liturgiegeschichte durchaus fremden Typus von Verbot des Bisherigen begleitet ist. Ich kann aus meiner Kenntnis der Konzilsdebatte und aus nochmaliger Lektüre der damals gehaltenen Reden der Konzilsväter mit Sicherheit sagen, daß dies nicht intendiert war.10

Vollauf bestätigt werden die oben angeführten Stimmen durch das, was sich in Rom im Jahre 1967 bei einer Bischofssynode ereignete. Die allermeisten der dort anwesenden Bischöfe hatten zuvor als Konzilsväter der Liturgiekonstitution zugestimmt. Bei der Synode wurde in Anwesenheit der Synodenväter eine sog. missa normativa zelebriert, die im wesentlichen dem späteren Novus Ordo Missae entsprach – und diese missa normativa überzeugte einen Großteil der Bischöfe nicht, andere brachten mehr oder weniger umfangreiche Verbesserungsvorschläge an. Prof. Georg May schreibt dazu:

Der tiefe Unmut mancher Väter mit der sogenannten Liturgiereform fand Ausdruck in heftigen Äußerungen. Der Bischof Donal Lamont von Umtali in Rhodesien erklärte am 24. Oktober lapidar: ‚Wir sind vergiftet durch die Erneuerung‘ (sc. der Liturgie). Der Kardinalstaatssekretär Cicognani rief empört aus: ‚Sat experimenta, sat innovationes!‘ (‚Genug des Probierens, genug der Neuerungen.‘) 11

Insgesamt kommt Prof. May – unter Anführung zahlreicher Belege – zum Urteil:

Gegen die neue Meßordnung gab es also eine sehr starke Opposition der an der Generalversammlung der Bischofssynode teilnehmenden Bischöfe. Aber dieser Widerstand wurde erstaunlicherweise übergangen und hatte keine Auswirkungen. (…) Mit Intransigenz, Intoleranz und Trotz beharrten die Urheber und Förderer der sogenannten Liturgiereform auf ihren irrigen Vorstellungen.“ 12

Es dürfte deutlich geworden sein, daß die Idee, die nachkonziliare liturgische Reform sei Ausdruck „des Willens der Konzilsväter“, ins Reich der Fabel zu verweisen ist. Diejenigen, die – aus vielen guten Gründen – der überlieferten Liturgie in einer Haltung der Kirchen- und Glaubenstreue verbunden bleiben, handeln einwandfrei nicht im Widerspruch zum Zweiten Vatikanischen Konzil.

In Übereinstimmung mit Theologie, gesundem Menschenverstand und nicht zuletzt dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat Papst Benedikt XVI. erklärt:

Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein.13

Und da Benedikt XVI. letztere Feststellung in Ausübung seines Lehramtes – und nicht etwa „nur im disziplinären Sinne“ – getätigt hat, ist auf die alte Liturgie zumindest folgende Aussage der Liturgiekonstitution ohne weiteres anwendbar: „In den Dingen, die den Glauben oder das Allgemeinwohl nicht betreffen, wünscht die Kirche nicht eine starre Einheitlichkeit der Form zur Pflicht zu machen.“ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 37). M. a. W.: Da die überlieferten Riten nicht „plötzlich schädlich“ sein können, widerspricht es dem Geist der Kirche, diese einer „starren Einheitlichkeit“ halber unterdrücken zu wollen.
     

 

Die Lehren des zweiten Vaticanums


Im übrigen wirkt der Vorwurf, die der alten Liturgie verbundenen kirchentreuen Gläubigen seien „Konzilsverächter“, eher belustigend – vor allem dann, wenn er vom Redakteur der eingangs erwähnten Website erhoben wird. Diese ist nämlich bislang weder durch besondere Treue zur Lehre von Päpsten und Konzilien im allgemeinen, noch des letzten Konzils im besonderen aufgefallen. Wenn man dort dieses Konzil anführt, dann höchstens selektiv (und in modernistischer Fehlinterpretation). Zu den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils gehören jedenfalls u.a. folgende:

  • „Die heilige katholische Kirche ist der Mystische Leib Christi.“ (Orientalium Ecclesiarum, Nr. 2)
  • „Jesus Christus (…) ist es, der (…) durch Zeichen und Wunder, (…) die Offenbarung erfüllt und abschließt und durch göttliches Zeugnis bekräftigt.“ (Dei Verbum, Nr. 4)
  • „Darum könnten jene Menschen nicht gerettet werden, die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollten.“ (Lumen gentium, Nr. 14)
  • „Die gesamte Lehre muß klar vorgelegt werden. Nichts ist dem ökumenischen Geist so fern wie jener falsche Irenismus, durch den die Reinheit der katholischen Lehre Schaden leidet und ihr ursprünglicher und sicherer Sinn verdunkelt wird.“ (Unitatis redintegratio, Nr. 11)
  • „So bittet diese Heilige Synode nicht nur die Priester, sondern alle Gläubigen, sie möchten sich die kostbare Gabe des priesterlichen Zölibates ein wirkliches Anliegen sein lassen. (Presbyterorum ordinis, Nr. 16)
  • „Das Leben muß von der Empfängnis an mit äußerster Sorgfalt gehütet werden; die Abtreibung und der Kindesmord sind verabscheuungswürdige Verbrechen.“ (Gaudium et spes, Nr. 51)
  • „Die staatliche Gewalt möge es als ihre heilige Aufgabe betrachten, die wahre Eigenart von Ehe und Familie anzuerkennen, zu hüten und zu fördern, die öffentliche Sittlichkeit zu schützen und den häuslichen Wohlstand zu begünstigen.“ (Gaudium et spes, Nr. 52)

Herr Neumann behauptet nun, „das Konzil“, also auch die soeben genannten Lehren desselben, „nicht nur etablieren, sondern es auch gegen seine Verächter verteidigen“ zu wollen. Ein erster sinnvoller Schritt zur Realisierung dieses lobenswerten Vorhabens bestünde darin, die alten und neuen Konzilsverächter da zu verorten, wo sie wirklich sind – und im Lichte der so gewonnenen Erkenntnis die von ihm redigierte Website aus dem Netz zu nehmen.

1 Leserbrief, Deutsche Tagespost, 17. Januar 1995
2 Lo Specchio, 16. Mai 1969
3 Lo Specchio, 29. Juli 1969
4 Alfons Maria Kardinal Stickler, Erinnerungen und Erfahrungen eines Konzilsperitus der Liturgiekommission, in: Franz Breid (Hsrg.), Die heilige Liturgie, Steyr 1997, S. 161 (Eine englische Übersetzung des Referates wurde in den letzten Tagen im Internet wiederveröffentlicht: New Liturgical Movement: “Recollections of a Vatican II Peritus” by Alfons Cardinal Stickler – Another Nail in the Coffin of the Roche Narrative.)
5 Ebd. S. 169f
6 Ebd. S. 177f
7 Joseph Gelinau, Demain la liturgie, Paris 1976, S. 9 f.
8 Henri Denis, Des Sacrements et des Hommes, Paris 1988, S. 34
9 Zit. nach: Michael Davies, Liturgical Timebombs in Vatican II, Rockford 2003, S. 65
10 Zit. nach: Una Voce Korrespondenz, 38. Jg., S. 203
11 Georg May, Die alte und die neue Messe, Düsseldorf 1975, S. 42
12 Ebd., S. 43 f.
13 Papst Benedikt XVI, Con grande fiducia, Begleitschreiben zum Motuproprio Summorum Pontificum an den Weltepiskopat vom 7. Juli 2007

     
     
     
     
   



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